Übergriff der Berliner Kriminalpolizei auf sozialpädagogische Jugendwohngruppe

Mit dieser Stellungnahme macht der Kinder- und Jugendhilfe-Verbund Berlin / Brandenburg (KJHV zentral) einen Übergriff der Berliner Kriminalpolizei auf ihre sozialpädagogische Jugendwohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete öffentlich.

Am frühen Morgen des 09. Mai 2018 verschaffte sich die Sicherungseinheit der Berliner Polizei auf Basis eines Durchsuchungsbeschlusses (angeordnet am 20.12.2017 zum Auffinden von Beweismitteln, insbesondere einer Geldbörse und eines Personalausweises) gewaltsam Zugang zu unserer sozialpädagogischen Jugendwohngruppe für unbegleitete minderjährige Geflüchtete. Dabei kam es zu unverhältnismäßigen und rechtswidrigen Handlungen, sowie zu Misshandlungen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. In Folge der Misshandlungen mussten zwei der Jugendlichen, zu deren Zimmern sich die Sicherungseinheit rechtswidrig Zutritt verschaffte, im Krankenhaus behandelt und einer von ihnen operiert und drei Nächte stationär aufgenommen werden. Außerdem kam es zu erheblichen Sachbeschädigungen in deren Folge die Jugendwohngruppe kurzzeitig unbewohnbar war.

Die vorliegende Stellungnahme möchten wir nutzen um den o.g. Übergriff aus Sicht der Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Betreuer*innen zu schildern:

Im Zusammenhang von Untersuchungen zu einem Strafdelikt lag ein Durchsuchungsbeschluss für das Zimmer des in der Jugendhilfe untergebrachten Minderjährigen vor. Die Kriminalpolizei informierte die zuständige Bezugsbetreuerin und Vormundin am 19. April 2018 über die bevorstehende Durchsuchung und zeigte sich sehr kooperativ. Die Bezugsbetreuerin erklärte der Beamtin die Aufteilung der Räumlichkeiten und teilte ihr mit, dass noch weitere Jugendliche in der Wohnung wohnten und es sich um eine stationäre Jugendhilfeeinrichtung handelt, in der die Jugendlichen ohne Nachtdienstbetreuung wohnen. Die Beamtin versicherte, dass nur das Zimmer des betroffenen Jugendlichen und die Gemeinschaftsräume durchsucht werden. Die Betreuerin wies darauf hin, dass der Jugendliche minderjährig ist und eine Vormundin die rechtliche Vertretung innehat. Sie fragte die Beamtin, ob die Vormundin bei der Zimmerdurchsuchung anwesend sein müsste. Die Frage blieb unbeantwortet. Die Beamtin telefonierte ebenfalls mit der Vormundin.

Am Mittwoch den 09. Mai 2018 gegen 07:15 Uhr verschaffte sich die Sicherungseinheit Zugang zur Wohnung der Jugendlichen. Zu dieser Zeit schliefen die drei jugendlichen Bewohner in ihren Zimmern, zwei Zimmer waren unbewohnt und durch den Träger verschlossen. Die Vormundin und die Bezugsbetreuerin wurden nicht informiert. Die Wohnungstür wurde ohne vorheriges Klingeln eingetreten und die Sicherungseinheit verschaffte sich mithilfe mehrerer Teams Zugang zu allen Zimmern.

Aufgeschreckt durch den Lärm, wachte einer der Jugendlichen – für dessen Zimmer kein Durchsuchungsbeschluss vorlag – auf und öffnete die Zimmertür. Er erschrak und verschloss aus Angst seine Tür. Drei bis vier Beamt*innen verschafften sich wortlos Zugang zum Zimmer, warfen den Jugendlichen zu Boden, schlugen mit Schlagstöcken auf Rücken und Schultern ein und verrenkten ihm den Arm. Er wurde in den Flur geschliffen und ein Notarzt versorgte ihn kurze Zeit später. Der Jugendliche fragte die Beamt*innen was er getan habe. Der Beamte sagte, dass er selbst Schuld sei, wenn er mit […] (Name des beschuldigten Jugendlichen) zusammen wohnen würde. Der Jugendliche wurde im Krankenhaus versorgt, geröntgt und am gleichen Tag mit Hämatomen und Schmerzen entlassen. Infolge des Übergriffs ist der junge Volljährige bislang psychisch nicht in der Lage, in die Wohnung zurückzukehren, sondern musste vom Träger in einer anderen, auch nachts betreuten Wohnform untergebracht werden. Er klagt seitdem vermehrt über Schlafstörungen und Angstzustände. Die Vorstellung, allein in einem Zimmer zu sein, macht ihm Angst und der Anblick von Männern in Kampfanzügen begleite ihn seitdem ständig. Zudem äußerte er, dass er seit diesem Vorfall den Glauben an die Polizei verloren habe. Wenige Wochen vor dem Übergriff hatte der Jugendliche die aktuelle Unterbringung nach zwei Jahren dortiger Betreuung verlassen und war psychisch soweit stabil, in die Jugend-WG ohne Nachtbetreuung wechseln zu können. 15 Minuten Polizeigewalt haben somit zwei Jahre Jugendhilfe und therapeutische Arbeit zerstört.

Drei Beamt*innen drangen gleichzeitig in das Zimmer eines zweiten Jugendlichen ein, für das ebenfalls kein Durchsuchungsbeschluss vorlag. Sie rissen ihn aus dem Bett und schleuderten ihn in den danebenstehenden Schrank mit Glastür. Die Glastür zerbrach und der Jugendliche erlitt mehrere tiefe Schnittwunden am Arm, die stark bluteten. Er wurde auf den Bauch gedreht und mit Handschellen fixiert. Danach fragten ihn die Beamt*innen nach seinem Namen. Er sagte ihnen seinen Namen und sein Geburtsdatum und wies auf seinen Ausweis auf dem Tisch hin. Die Beamt*innen lösten die Handschellen, versorgten die stark blutenden Wunden und riefen den Rettungsdienst. Er wurde umgehend ins Krankenhaus transportiert. Dort mussten die drei tiefen Schnittwunden sofort behandelt werden. Die größte der Schnittwunden ist circa 15 cm lang. Der Jugendliche wurde zweimal operiert, wobei mehrere Glassplitter aus seinem Arm entfernt wurden. Er befand sich drei Nächte in stationärer Behandlung und muss bis jetzt nachversorgt werden. Der Jugendliche wird deutlich sichtbare Spuren des Übergriffs davontragen. Bis heute ist dem Heranwachsenden nicht klar, warum ihm diese massive Gewalteinwirkung galt.

Der vom Durchsuchungsbeschluss betroffene Jugendliche wurde von den Beamt*innen in seinem Zimmer wortlos zu Boden geworfen, auf dem Rücken fixiert und in den Nebenraum geschliffen. Er erlitt dabei zwei Schürfwunden am Kopf. Der Jugendliche zeigte sich kooperativ und leistete keinen Widerstand gegen die Beamt*innen.

Die Betreuer*innen wurden von den Jugendlichen gegen 08:13 Uhr angerufen und um Hilfe gebeten, weil sie von der Polizei verprügelt wurden. Die Polizei hatte zu dem Zeitpunkt weder die Vormundin noch Bezugsbetreuer*innen oder uns als Jugendhilfeträger kontaktiert.

Wir verurteilen das Vorgehen der Sicherungseinheit aufs Schärfste und fordern die Berliner Polizei, die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie und alle zuständigen Behörden auf, den Vorfall schnellstmöglich aufzuklären und rechtliche Schritte gegen die Verantwortlichen des Einsatzes einzuleiten, sowie präventiv unverhältnismäßige und rassistische Übergriffe innerhalb der Jugendhilfe durch Polizeieinsätze abzuwenden. Außerdem fordern wir die zuständige Einsatzleitung auf, sich bei den misshandelten Jugendlichen zu entschuldigen und sie für die körperlichen und seelischen Schäden zu entschädigen, sowie für die erhebliche Sachbeschädigung aufzukommen.

Ansprechpartnerin für Rückfragen:
Mareike Rüggeberg
Bereichsleitung Arbeit mit Geflüchteten
Tel.: 030 – 613 90 719
E-Mail: m.rueggeberg@kjhv.de