Stellungnahme von glokal e.V. zu den Vorkommnissen an der Universität Frankfurt

Angefragt vom Gleichstellungsbüro Goethe-Universität in Frankfurt/Main, haben am 10. November 2016 zwei Referenten unseres Vereins glokal e.V. einen Workshop mit dem Titel „Rassistisch? – ich doch nicht! Rassismuskritische Sensibilisierung im Hochschulkontext“ angeboten. Einer der Teilnehmer war Jonas B., der – wie sich im Nachhinein herausstellte – Beisitzer der Jungen Alternativen (Jugendorganisation der Alternative für Deutschland/AfD) in Hessen ist. Vier Wochen nach dem Workshop verfasste er einen youtube-Clip unter dem Titel „Erfahrungen aus dem Rassismusworkshop“ (Link: https://www.youtube.com/watch?v=7OHSdSj-Vsc) und wandte sich mit der Jungen Alternative per Pressemitteilung an die Öffentlichkeit
(Link: https://www.facebook.com/JainFrankfurt/photos/a.185144411899079.1073741828.154473238299530/240384756375044/?type=3&theater).
Darin wird unseren Referenten vorgeworfen, im Workshop zu Gewalt gegen Polizist*innen aufgerufen zu haben.

Zwei Zeitungsartikel – einer in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 9.12.16 (nur Print), ein anderer in der Frankfurter Rundschau vom 10.12.16 (http://www.fr-online.de/campus/goethe-universitaet-frankfurt-umstrittener-rassismus-workshop,4491992,35001634.html) – griffen die Pressemitteilung auf und ließen sowohl Vertreter*innen der Universität als auch Referent*innen von uns zu Wort kommen. In der FAZ wird ein Sprecher der Goethe-Universität zitiert, der verkündet, dass die Universität auf die weitere Zusammenarbeit mit unseren Referent*innen verzichten wird, da „deren Ausführungen nicht dem liberalen Selbstverständnis der Universität“ entsprächen und die „Referenten auch infolge eigener Betroffenheit [möglicherweise] befangen“ seien. In der Frankfurter Rundschau wird Anja Wolde vom Gleichstellungsbüro zitiert, dass sie „künftig nicht mit dem Anbieter glokal e.V.“ zusammenarbeiten werden. Sie ergänzt: „Das hat allerdings nichts mit den Vorwürfen der Jungen Alternativen zu tun“. […] Vielmehr habe man sich […] daran gestört, dass im Seminar zu zivilem Ungehorsam aufgerufen wurde.“

Wie Teilnehmende unseres Workshops bestätigen können, haben unsere Referenten, entgegen der Behauptung von Jonas B., nicht zu Gewalt gegen die Polizei aufgerufen. Vielmehr sehen wir die Veröffentlichung des Videos von Jonas B. auf YouTube sowie die Pressemitteilung der Jungen Alternative als eine bewusste Diffamierung und Verleumdung unserer Arbeit und rassismuskritischer Bildungsarbeit bzw. antirassistischem Engagements im Allgemeinen. Auf der Webseite der Jungen Alternative (http://www.ja-hessen.de) sind durchgängig rechte und rassistische Parolen zu finden: So zählt beispielsweise ein Popup per Countdown die Zeit rückwärts, bis „wir Deutschen zur Minderheit im eigenen Land geworden sind.“

Wir sind sehr besorgt darüber, wie Vertreter*innen der Goethe-Universität Frankfurt auf eine Pressemitteilung einer rechten Organisation reagieren und sich dabei auch von der Idee und Praxis zivilen Ungehorsams distanzieren, welchen wir als unabdingliches Mittel gegen Diskriminierung in einer Demokratie erachten. Auch wenn Vertreter*innen der Goethe-Universität im Nachzug versuchen, einen Zusammenhang zwischen der AfD-Hetze und ihrer öffentlichen Distanzierung und Aufkündigung einer Zusammenarbeit mit glokal e.V. von sich zu weisen, bleibt die Frage, warum sich die Universität erst nach dem Erscheinen des Videos und der Pressemitteilung der Jungen Alternative in der Öffentlichkeit entsprechend positioniert. Ferner wurde sich weder in der Stellungnahme umfassend inhaltlich von der AfD-Position abgegrenzt, noch wurde der Verantwortung nachgekommen, die eingeladenen Referent*innen vor rechter Hetze zu schützen. Im Internet folgten zahlreiche weitere rassistische Diffamierungen, deren Verfasser/Verfasserinnen sich durch die Stellungnahme der Goethe-Universität ggf. bestätigt fühlen konnten. Wir sehen an dieser Stelle Rassismus und rechte Hetze durch insbesondere zwei Handlungsentscheidungen seitens der Goethe-Universität reproduziert:

Erstens durch die vertretene Position, dass „Referenten auch infolge eigener Betroffenheit [möglicherweise] befangen“ seien: Personen, die von Rassismus negativ betroffen sind, abzusprechen, dass sie nicht „objektiv“ über Rassismus reden könnten sowie institutionellen/strukturellen Rassismus in Deutschland zu erkennen und zu analysieren vermögen, ist bereits Teil rassistischer Delegitimierungsstrategie. Hier wird auf das koloniale Muster der binären Teilung in Europäer*innen, die rational, objektiv und vorausschauend, und Menschen of Color, die von ihren Emotionen überwältigt seien, zurückgegriffen. Durch die Aussage, dass Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren, nicht die Richtigen seien, zu formulieren, was Rassismus ist und wie dagegen vorzugehen ist, impliziert dass Menschen, die strukturell von Rassismus profitieren, darüber urteilen sollten, was tatsächlich Rassismus darstellt und wann und wie dagegen interveniert werden sollte. Im Kontext der AfD-Veröffentlichungen ist dies mehr als nur fahrlässig, da es suggeriert, dass der Empörung rechter Akteur*innen entsprechend mehr Glaube geschenkt wird. Darüber hinaus ist es einfach respektlos, sich in solcher Form in den Medien über eingeladene Referent*innen zu äußern und ihre Kompetenz durch unterstellte Befangenheit in Frage zu stellen.

Zweitens wird Rassismus dadurch reproduziert, dass die Universität sich in einem Moment, in dem eine Person, die rassistischer Diskriminierung erfährt, von Rechten verbal angegriffen wird, sich nicht zuallererst hinter diese stellt. Erst in einem zweiten Schritt hätte die Goethe-Universität inhaltliche Kritik an dem Inhalt unseres Workshops bzw. unserer generellen Herangehensweise üben können. Das Gegenteil ist der Fall gewesen. Es wurde sich nicht bei der angegriffenen Person bzw. dem angegriffenen Verein (glokal e.V.) erkundigt, wie diese die Situation wahrnehmen und was sie an Schutz bzw. Unterstützung brauchen. Wir sehen dies nicht als Ausrutscher, sondern vielmehr als ein Beispiel für institutionellen Rassismus.

Mittlerweile hat die Universität Frankfurt eine weitere Stellungnahme verfasst, in der sie sich u.a. bei unserem Schwarzen Referenten dafür entschuldigt, über einen „Zusammenhang zwischen Betroffenheit und Befangenheit“ spekuliert zu haben (http://aktuelles.uni-frankfurt.de/aktuelles/stellungnahme-der-pressestelle-der-goethe-universitaet/). Ansonsten bedauert sie vor allem die Berichterstattung, aber nicht ihr Nicht-Verhalten zu den Äußerungen der Jungen Alternative und ihre fehlende Unterstützung der angegriffenen Referenten. Diese Stellungnahme der Uni wurde am 16.12.2016 auch von der FAZ nochmal in einem Artikel aufgegriffen. Zudem gab es nun auch eine Stellungnahme des Gleichstellungsbüros (http://aktuelles.uni-frankfurt.de/aktuelles/stellungnahme-des-gleichstellungsbueros-der-goethe-universitaet/), in der sich endlich „von dem studentischen Mitglied der ‚Jungen Alternative‘ dargestellten Sätze“ distanziert wird – allerdings ohne die Mitverantwortung für die sich daran anschließende mediale Hetze herauszustellen. Zu guter Letzt hat sich eine Mitarbeiterin des Gleichstellungsbüros persönlich bei den beiden Referenten entschuldigt. All diese Schritte begrüßen wir. Wir sehen die erneuten Stellungnahmen und Entschuldigungen als ein Resultat und Erfolg der vielen Proteste, die es von Einzelpersonen, Vereinen und Gruppen gab. Für uns kann es in der Aufarbeitung der Geschehnisse seitens der Goethe-Universität jedoch nicht lediglich um eine Entschuldigung gehen und die erfolgten Stellungnahmen sind nicht ausreichend. Wir fordern die Goethe-Universität und das Gleichstellungsbüro entsprechend auf,

  • sich ausführlich bezüglicher ihrer Distanzierung vom zivilen Ungehorsam zu erklären;
  •  und eine öffentliche Debatte zum Komplex zivilen Ungehorsams sowie zu Racial Profiling im Kontext einer postkolonialen und postnationalsozialistischen deutschen Gesellschaft zu führen.

Ferner fordern wir

  • das Gleichstellungsbüro auf, sich bei uns dafür zu entschuldigen, die von Ihnen beauftragten Referenten nicht ausreichend gegen Beleidigungen, Falschaussagen und Diffamierungen durch die Junge Alternative bzw. die AfD geschützt zu haben.
  • die Goethe-Universität Frankfurt und das Gleichstellungsbüro auf, sich klar und deutlich inhaltlich von den Positionen der Jungen Alternative zu distanzieren und ihre Aussage, eine weitere Zusammenarbeit grundsätzlich auszuschließen, zu widerrufen oder ausführlich und öffentlich zu erklären, warum sie daran festhält und was sie mit „organisatorischen Gründen“ meint (http://aktuelles.uni-frankfurt.de/aktuelles/stellungnahme-des-gleichstellungsbueros-der-goethe-universitaet/). Damit möchten wir uns nicht einer Kritik entziehen, die es selbstverständlich an unserem Workshop geben kann. Wir sehen jedoch die Beurteilung der Inhalte und des Formats unseres Workshops mittlerweile deutlich von den nachfolgenden Ereignissen geprägt (Video des Mitglieds der Jungen Alternative, Pressemitteilung der Jungen Alternative, Diffamierungen im Internet, Zeitungsartikel inkl. Zitate des Gleichstellungsbüros, Stellungnahme der Pressestelle der Goethe-Universität). Hier wäre ein Bewertung des Workshops durch die Teilnehmenden, die ihn besucht haben, um über Rassismus nachzudenken und nicht um sich in ihrem Rassismus bestätigt zu fühlen, sicherlich zielführender.

Wir sind der Überzeugung, dass Menschen mit Rassismuserfahrungen essentielle Beiträge in der rassismuskritischen Bildungsarbeit, Lehre und Forschung leisten und auch zukünftig leisten werden. Wir vertreten ebenso die Position, dass Rassismus ein gesamtgesellschaftliches Herrschaftsverhältnis ist, dass vielfältig zur Aufrechterhaltung von Ungleichheit und Gewalt beiträgt. Staatliche Institutionen wie die Polizei oder Universitäten sind davon nicht ausgenommen! Gewaltfreier ziviler Ungehorsam ist daher aus unserer Perspektive ein adäquates Mittel, um auf die Reproduktion von Rassismus hinzuweisen und Diskriminierungen entgegenzuwirken. Weder die Erfolge antikolonialen Widerstands (z.B. Bhimrao Ramji Ambedkar), noch die amerikanische Bürgerrechtsbewegung (z.B. Rosa Parks, Martin Luther King) sowie viele weitere Kämpfe gegen Ausbeutung und Diskriminierung wären ohne Aktionen des zivilen Ungehorsams denkbar gewesen. Darum thematisieren wir auch in unseren Workshops Möglichkeiten gewaltfreien zivilen Ungehorsams, ohne allerdings Teilnehmende aktiv dazu aufzurufen. Unser Bildungsverständnis basiert vielmehr auf der Formulierung von (selbst-)kritischen Fragen statt darauf, Lösungen oder Aktionsformen vorzuschreiben.

Wir bedanken uns für die große Solidarität und Unterstützung, die wir in der letzten Woche erfahren haben! Es ist ein gutes Gefühl, nicht alleine gelassen zu werden bei Diffamierungen, und wir würden uns freuen, wenn viele Menschen die folgenden Stellungnahmen zur Kenntnis nehmen bzw. Offenen Briefe mitunterzeichnen würden.