Machtkritisch-systemischer Beratungsansatz

Der machtkritisch-systemische Beratungsansatz kann als Experiment verstanden werden, zwei Denksysteme, Haltungen und Arbeitsweisen zusammenzubringen. Er ist ein Ansatz, der sich in der Praxis von glokal herausgebildet hat und den wir stetig weiterentwickeln und verfeinern. Während systemische Beratung keinen dezidierten Blick für gesellschaftliche Machtverhältnisse hat und dadurch häufig zentrale Ursachen und Wirkungen von Problemen außer Acht lässt oder sogar leugnet, ist der machtkritische Ansatz in der Praxis sehr stark auf Bildungsarbeit beschränkt. Ein machtkritischer Beratungsansatz ist noch wenig erprobt. Hier können wir aber Erfahrungen aus der systemischen Beratung für uns fruchtbar machen.

Sowohl dem machtkritischen als auch dem systemischen Ansatz liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Welt sozial konstruiert ist, subjektiv empfunden wird und Realität immer wieder neu hergestellt wird. Denken, Fühlen und Handeln von Menschen sind geprägt durch ihre Sozialisation und durch ihre gesellschaftliche Positionierung. Systemisches Denken lädt dazu ein, ganzheitlich an Fragen heranzugehen und über den Tellerrand zu schauen. Die machtkritische Herangehensweise ergänzt dies durch das Aufzeigen struktureller Aspekte von Ungleichverhältnissen und deren historisches Gewordensein. Die Beratungshaltung, die aus der Verbindung der beiden Ansätze entsteht, ist ressourcenorientiert und wertschätzend. Gleichzeitig ist sie auch mit unseren emanzipatorischen Werten und der Vision einer machtsensiblen und diskriminierungsfreien Gesellschaft verknüpft und somit nicht wertneutral.

In der Praxis ist unsere machtkritisch-systemische Beratung geprägt von Fragen anstatt von Antworten und von Prozessoffenheit anstatt von Ratschlägen. Ziel ist es, die zu Beratenden ihre Eingebundenheit sowohl in größere Systeme (z. B. Organisationen, Familie, etc.) als auch in gesellschaftliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse (wie bspw. Geschlechterverhältnisse) erkunden zu lassen und innerhalb dieser für ihre Anliegen und Herausforderungen selbst Lösungen zu entwickeln. Dabei wird in der Beratungspraxis ebenso Wert auf das Verstehen (Rückblick und Analyse) wie auf die Neuorientierung (Ausblick und Erarbeitung von Handlungsmöglichkeiten) gelegt.

In unser Arbeit als Berater_innen verstehen wir uns nicht als Expert_innen, die die Aufgabe haben zu bewerten. Stattdessen übernehmen wir die wichtige Funktion, den Rahmen zu gestalten und, falls erwünscht, auch fachlichen Input zu geben. Im Wesentlichen geht es uns darum, die zu Beratenden dazu zu befähigen, selbst zu Denk-, Haltungs- und Handlungsveränderungen zu kommen. Die externe Begleitung hat in einem solchen Prozess die Möglichkeit, die zu Beratenden aus gewohnten Denkmustern herauszulösen. Irritation und Verunsicherung können dabei eine wichtige Rolle spielen und sind v. a. in der Arbeit mit durch Ungleichverhältnisse privilegierte Menschen essentielle Bestandteile von Veränderungsprozessen. Gerade diese Momente bedürfen der emotionalen Begleitung, für die auch in der beraterischen Arbeit Raum geschaffen wird.