„Ich war ein Fremder und Du hast mich aufgenommen” – Stoppt die Verdrängung des Obelisken!

In Kassel und deutschlandweit protestieren Initiativen (u.a. auch glokal) und Einzelpersonen gegen gegen den Versuch, das Kunstwerk des documenta 14 Künstlers Olu Oguibe vom zentralen Kasseler Königsplatz zu versetzen und ihm damit eine zentrale Dimension seiner Bedeutung zu rauben. Der Protest kann hier unterstützt werden.

Wir fordern dazu auf, die Arbeit des Kunstwerks auf dem Königsplatz anzuerkennen: das heisst zu verstehen, wie es höchst gelungen die Zunahme rassistischer, antisemitischer, anti-muslimischer Diskurse sichtbar macht. Gleichzeitig fordert die Viersprachigkeit der Arbeit zu mehrsprachigen Auseinandersetzungen auf. Darin formuliert sich eine hoffnungsvolle Vision, in der Menschen unterschiedlicher Herkunft friedlich zusammenleben.

„Ich bleibe hier!“

Der Obelisk des nigerianisch/US-amerikanischen documenta-14-Künstlers Olu Oguibe steht seit Juni 2017 auf dem Königsplatz in Kassel — für diesen zentralen öffentlichen Platz der Stadt wurde er speziell entworfen. Auf dem skulpturalen Objekt angebracht ist, in goldenen Buchstaben und in englischer, deutscher, türkischer und arabischer Sprache, der Satz: „Ich war ein Fremder und du hast mich aufgenommen”. Der im Juli 2017 in Kassel mit dem renommierten Arnold-Bode-Preis ausgezeichnete Oguibe nennt den Obelisken einen „Aufruf zum Handeln“, der auf die Notlage der Menschen in der Diaspora verweist, die aufgrund von Krieg, Hungersnot und globalisierten wirtschaftspolitischen Missständen fliehen mussten.

Jedoch ist das Kunstwerk seit Ende der documenta 14 Ausstellung Zielscheibe zahlreicher, oft rassistisch gefärbter Kontroversen. Zunächst vernahm man aus dem Kasseler Stadtrat, die Crowdfunding-Kampagne zum Ankauf des Obelisken habe nicht genügend Geld generiert, um das Kunstwerk zu erwerben, woraufhin diskutiert wurde, ob es also überhaupt ‚ethisch‘ und ‚notwendig‘ sei, den Obelisk in Kassel zu behalten. Trotz der nicht ausreichenden Spendeneinnahmen ist der Galerist Olu Oguibes bereit, Oguibes Kunstwerk der Stadt für den vorhandenen Betrag zu verkaufen.

Im Rahmen dieses Aushandlungsprozesses wurden wir Zeuginnen eines enormen Mangels an Professionalität seitens der Kasseler Stadtverwaltung und des städtischen Kulturamtes sowie der politischen Parteien, die in der Stadtregierung vertreten sind. Wir beobachteten auch, wie der Künstler dazu gebracht wurde, die Ortsspezifik seiner Arbeit zu legitimieren, um sich den Argumenten der der Kommunalpolitiker zu widersetzen, die mit allen Mitteln versuchten, den Obelisk vom Königsplatz zu entfernen und zum Holländischen Platz, einem stark migrantisch geprägten Ort, zu transferieren. Eindeutig will man ihn aus dem Zentrum schieben. Damit verleugnet man, dass die die Adressatinnen des Monuments die sind, die das Zentrum bewohnen, und nicht die migrantische Bevölkerung. Denn der Obelisk stellt den Ruf der Peripherie (Migrant*innen, People of Color, Diasporas) an das Zentrum (Mehrheitsgesellschaft) dar, und dieses wird durch den Königsplatz repräsentiert. Somit ist der Standort zentraler Teil der Bedeutung des Kunstwerks.

Wir verlangen von den Bürgerinnen der Stadt Kassel einen respektvollen Umgang mit Künstlerinnen. Wir verlangen von den professionellen Kulturarbeiterinnen und Politikerinnen der Stadt einen Umgang mit Kunst, der den Standards der internationalen Kunst- und Kulturszene entspricht. Wir verlangen von allen denkenden Menschen, künstlerische, gesellschaftliche und politische Handlungen zu begrüßen, die der strukturellen Marginalisierung Afrikanischer und Schwarzer Künstler*innen in Deutschland entgegenwirken!
Begründung

Postkolonialste documenta = kontroverseste documenta – kein Zufall!

In den Kontroversen rund um den Verbleib des Obelisken auf dem Königsplatz kulminieren die Diffamierungen, die die documenta 14 aufgrund ihres postkolonialen und rassismuskritischen Schwerpunkts begleiten. Die documenta 14 thematisierte europäische Kolonialismen und Rassismen, sie addressierte die Rolle globaler Eliten und nationaler Politiker*innen innerhalb finanzieller und migrationspolitischer Krisen und betonte den Protagonismus Schwarzer, dekolonialer, antirassistischer und queer-feministischer Perspektiven.

Sie schuf so eine Plattform, auf der Kunst und populäre Politik zusammenprallten und sich gegensei-tig provozierten. Trotz großer Anerkennung in der Kunstwelt traf die documenta 14 auf Feindseligkeit und Widerstand bei manchen lokal-politischen Akteur*innen. Der AfD-Politiker Thomas Materner beispielsweise bezeichnete den Obelisken als „ideologisch polarisierte, entstellte Kunst”. Zunehmender Rassismus ist also der Kontext der Bekämpfung des Obelisken, und so ist es kein Zufall, dass gerade gegen das antirassistische Werk eines Schwarzen Künstlers vorgegangen wird.

Rassismus ist das Problem. Die Stadtpolitik aber hat einen demokratischen Auftrag. Wir fordern sie daher dazu auf, jegliche Komplizenschaft mit rassistischen Tendenzen zu unterlassen und ihrem Auftrag gerecht zu werden, zu einem demokratischen und friedlichen Zusammenleben beizutragen.

Tretet dafür ein, den Obelisken an seinem Standort Königsplatz zu belassen!

Für Kassel als Teil einer Gesellschaft, die sich lokal, bundesweit, transnational für die Vielfalt der Welt öffnet!

Für Kassel als Stadt, die kritische Haltungen begrüßt!

Erstunterzeichnende:

Prof. Dr. Encarnación Gutiérrez Rodríguez, Giessen, Vorstand Fachgesellschaft für rassismuskritische, postkoloniale und dekoloniale Forschung und Praxis (DeKolonial e.V.

Prof. Dr. Iman Attia, Berlin, Vorstand DeKolonial e.V.

Prof. Dr. Manuela, Boatcă, Freiburg, Vorstand DeKolonial e.V.

Dr. Mariam Popal, Bayreuth, Vorstand DeKolonial e.V.

Dr. Noa Ha, Dresden, Vorstand DeKolonial e.V.

Dr. Pınar Tuzcu, Kassel, Vorstand DeKolonial e.V.

Prof. Dr Sergio Costa, Berlin, Vorstand DeKolonial e.V.

Dr. Vannessa Thompson, Frankfurt a.M., Vorstand DeKolonial e.V.

Murat Çakir, Kassel, Geschäftsführer RLS-Hessen

Violetta Bock, Kassel, Stadtverordnete Kasseler Linke

Mirko Düsterdieck, Kassel, Stadtverordnete Kasseler Linke

Lutz Getzschmann, Kassel, Stadtverordnete Kasseler Linke

Stephanie Schury, Kassel, Stadtverordnete Kasseler Linke

Ilker Sengül, Kassel, Stadtverordnete Kasseler Linke

Marlis Wilde-Stockmeyer, Kassel, Stadträtin Kasseler Linke

Tamim Mohammed, Kassel, selbstständiger Unternehmer

Serdar Kazak, Kassel, Drehbuchautor

Ralf Gentzsch, Kassel, Selbstständiger Unternehmer, Kassel

Yiğitcan Yılmaz, Kassel, Student

Ute Brinner, Kassel, Pädagogin

Ceren Türkmen, Berlin, Soziologin, Institut für Soziologie, Justus Liebig Universität

Frauengruppe Lose Fäden, Kassel, berufstätige Hausfrauen und Mütter

Each One Teach One e.V., Berlin

SAVVY Contemporary e.V., Berlin

No Humboldt 21! Bündnis, Berlin

Inititative Schwarze Menschen in Deutschland / ISD e.V., Berlin

Berlin Postkolonial e.V., Berlin

AfricAvenir International e.V., Berlin

AFROTAK TV CyberNomads, Berlin

glokal e.V., Berlin

kassel postkolonial

Yaseen Mohammed, Kassel, niedergelassener Arzt

Daniel Bendix, Kassel/Berlin

Autor*innen: Céline Barry – Each One Teach One e.V; Dr. Pınar Tuzcu, Vorstand DeKolonial e.V, Ayşe Güleç – kassel postkolonial