Seit einigen Wochen findet die Aktion „RADI-AID: Africa for Norway“ und das dazugehörige Video in Deutschland und international weite Verbreitung. Unzählige Medien aus aller Frauen Länder berichten darüber und auf facebook hat RADI-AID mittlerweile über 10.000 Hits und um die 2.500 „likes“. Vor ein paar Tagen hat auch der Moderator bei einer Veranstaltung mit dem postkolonialen Theoretiker Achille Mbembe zu „afrikanischer Protestkultur und revolutionären Ermächtigungen“ im Haus der Kulturen der Welt positiv darauf Bezug genommen. Uns erreichten aus allen möglichen Ecken E-Mails mit dem Hinweis auf die Webseite „Africa for Norway“ bzw. mit dem Link zum Video auf Youtube. Irgendwie finden alle die Aktion cool. Auch wir freuten uns zum Teil einen Kullerkeks, irgendwie gab es aber auch ein gewisses Unwohlsein. Dann haben wir den Text des Liedes mal genauer unter die Lupe genommen und uns informiert, wer hinter RADI-AID steckt und was Sinn und Zweck der ganzen Angelegenheit sein soll. Das Folgende ist dabei raus gekommen, es ist also immer wieder gut, dem Bauch zu vertrauen. Doch lest selbst …
Das Video hat die Norwegian Students‘ and Academics‘ International Assistance Fund (SAIH) gemacht, in Kooperation mit ‚Operation Day‘s Work‘ und mit finanzieller Unterstützung der Norwegian Agency for Development Cooperation und dem Norwegian Children and Youth Council. Die Musik ist vom südafrikanischen Sänger, Pianisten, Komponisten und Dirigenten Wathiq Hoosain, der in Norwegen studiert hat, und den Text hat die norwegische Band Bretton Woods beigesteuert. BBC spricht zwar davon, dass „eine Gruppe südafrikanischer Studenten – zusammen mit einer norwegischen Hilfsorganisation“ hinter der Aktion steht. Diese scheint aber eine Fehlinformation zu sein, denn diese Gruppe südafrikanischer Studenten taucht sonst nirgendwo auf und es wird immer wieder gesagt, dass SAIH das Ganze zu verantworten hat. So wird auch meist der SAIH-Präsident Erik Schreiner Evans als einer der Macher des Videos bzw. der Kampagne interviewt (z.B: hier). Hier tut sich gleich das erste Problem auf, welches der User „alibomaje“ in seinem Kommentar zum Interview auf Spiegel-Online gut auf den Punkt bringt: „Nachhilfe bleibt‘s: Doppelte Ironie. Norwegische Organisation hilft Afrikanern, deren Bild in der Welt zu korrigieren…..“. Erik Schreiner Evans spricht in dem Interview für seine „Freunde in Afrika“ und berichtet von deren Reaktion auf das Video: „Sie lieben es! Die meisten dort wissen, dass es Regionen gibt, die wirklich Hilfe benötigen, aber zugleich sind sie von dem eindimensionalen Bild genervt, das der Westen von ihrem Kontinent hat. Viele empfinden den westlichen Umgang mit Afrika als Bevormundung“
Aber was wollen die Leute von RADI-AID eigentlich erreichen? Ihr Ziel sei es gewesen, Menschen zu inspirieren, „die komplexen Probleme in Afrika zu verstehen und die vielen positiven Entwicklungen in afrikanischen Ländern zu erkennen.“
Auf der Webseite stehen vier Forderungen:
1. Fundraising should not be based on exploiting stereotypes.
Most of us just get tired if all we see is sad pictures of what is happening in the world, instead of real changes.
2. We want better information about what is going on in the world, in schools, in TV and media.
We want to see more nuances. We want to know about positive developments in Africa and developing countries, not only about crises, poverty and AIDS. We need more attention on how western countries have a negative impact on developing countries.
3. Media: Show respect.
Media should become more ethical in their reporting. Would you print a photo of a starving white baby without permission? The same rules must apply when journalists are covering the rest of the world as it does when they are in their home country.
4. Aid must be based on real needs, not “good” intentions.
Aid is just one part of a bigger picture; we must have cooperation and investments, and change other structures that hold back development in poorer countries.
Einige dieser Punkte finden wir auf jeden Fall auch wichtig. Sie werden beispielsweise in den vom Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags in Zusammenarbeit mit rassismuskritischen Initiativen herausgegebenen „Checklisten zur Vermeidung von Rassismen in der entwicklungspolitischen Öffentlichkeitsarbeit” ausgeführt und auch von Organisationen wie Der Braune Mob oder der Initiative Schwarze Deutsche gefordert. Allerdings nimmt RADI-AID das Wort Rassismus (geschweige denn Kolonialismus) kein einziges Mal in den Mund und spricht lediglich von Stereotypen. Diese Kurzsichtigkeit führt dann auch dazu, dass sie nicht grundsätzlich das koloniale Weltbild hinterfragen, in dem es „entwickelte“ und „sich entwickelnde“ Länder gibt. Dessen Zusammenhang mit Kolonialismus und Rassismus wird ignoriert (siehe dazu hier). „Entwicklungshilfe“ wird grundsätzlich als positiv gesehen, sollte aber durch „cooperation and investments“ begleitet werden. Diese Perspektive wird auch im Text des Liedes „Africa For Norway“ deutlich:
Now the tables have turned
Now it’s Africa for Norway
We’ve had our problems too
We’ve had our problems too
With poverty, corruption, with H.I.V. and crime
Norway gave a helping hand
They taught us what to do
And now it’s payback time
Die Geschichte beginnt also mit Norwegens Hilfe für arme Länder im globalen Süden. Keine Rede davon, dass es davor Kolonialismus gab und daraus folgende Machtverhältnissen zwischen globalen Norden und Süden fortdauern und das Leben von Menschen weltweit prägen – und so etwas wie „Entwicklungshilfe“ überhaupt erst möglich machen. Die Geschichte mit einem Zweitens beginnen zu lassen, ist eine (neo-)koloniale Strategie, die die Welt auf den Kopf stellt. Mourid Barghouti schrieb: „Fang deine Geschichte mit einem ‚Zweitens‘ an und die Pfeile der Native Americans werden zu den eigentlichen Kriminellen und die Gewehre der Weißen zu Opfern. Es reicht, wenn deine Geschichte mit einem ‚Zweitens‘ beginnt, damit die Wut der Schwarzen gegenüber den Weißen barbarisch erscheint.“ Für uns sind solche Ent-nennungen keine unschuldigen Auslassungen oder ein saloppes Vergessen. Das Nicht-benennen von Rassismus und Kolonialismus und somit die Ent-historisierung von Machtverhältnissen ist fester Bestandteil des kolonial konnotierten Entwicklungsdiskurses und rassistischer Verhältnisse im Allgemeinen. Auch wird bei RADI-AID die für (neo-)koloniale Machtausübung grundlegende Vorstellung von dem einen wahren Entwicklungsweg weiter kolportiert. In dem Interview auf Spiegel-Online wird auf die positive Seiten Afrikas hingewiesen, indem erwähnt wird, dass „Sieben der zehn am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften [sich in Afrika] befinden“. Hier wird der westliche Entwicklungsweg und westlich-kapitalistische Vorstellungen von „Entwicklung“ nicht infrage gestellt – im Gegenteil: er wird bestätigt. RADI-AID findet Entwicklungspolitik gut, aber nicht ausreichend, und baut dabei auf den „freien Markt“ (siehe die Forderung nach „cooperation and investments“). Dass der Einbezug Afrikas in das koloniale Modernitätsprojekt Europas und des globalen Nordens bis jetzt eine reine Katastrophe war (von Versklavung bis Kolonisierung, von Verschuldung bis Strukturanpassung, von Monokulturen bis Landgrabbing), wird ausgeblendet. Norwegische Konzerne sind ganz vorne mit dabei, wenn es darum geht, in neokolonialster Manier Land in afrikanischen Ländern aufzukaufen. Auch ist Norwegen nach Frankreich und Deutschland der drittgrößte Waffenexporteur Europas und damit nicht unbeteiligt an den Verheerungen durch Kriege weltweit.
Dass RADI-AID nicht benennt, dass der in Europa üblichen Berichterstattung über Afrika eine Geschichte von Rassismus und Kolonialismus und deren Fortdauern zugrunde liegt, scheint auch zur Folge zu haben, dass RADI-AID selbst nicht sonderlich sensibel für Rassismus ist. So wird nirgendwo reflektiert, dass Norweger_innen für „Afrika“ sprechen und zu wissen meinen, was „den Menschen in Afrika“ wirklich helfen würde. Das führt dann vielleicht auch dazu, dass sie „Bretton Woods“ (neun weiße norwegische Männer!) den Text haben schreiben lassen. Einige andere ihrer Lieder sind unter aller Kanone und quillen nur so über von Sexismus und Rassismus (z.B. Dowry and Developmentund „Femininity“).
Dass Norwegen wie alle europäischen Länder ein Rassismusproblem hat, dürfte sich spätestens seit Anders Breivik rumgesprochen haben. Der alltägliche gesellschaftliche Rassismus wurde aber auch bei dem Umgang mit diesem Fall nicht anerkannt und angegangen. Empfehlenswert ist da z.B. der Artikel „Black in Norway“ von Felice Blake.
Wenn RADI-AID schon das Stilmittel der Umkehrung verwendet, dann hätten sie das zumindest konsequenter machen können. Dann hätte es „Kenya for Europe“ heißen können oder aber einzelne nationale Berühmtheiten hätten Pate/Patin stehen müssen für norwegische Kinder (also die kenianische Sunday Live-Moderatorin Julie Gichuru anstelle von Ulrich Wickert). Allerdings denken wir nicht, dass Umkehrungen leicht zu bewerkstelligen sind. Oftmals geben sie lediglich einen Denkanstoß und bewirken einen Aha-Effekt. Es gibt eben kein historisch gewachsenes, gewaltvolles Wissensarchiv über Norwegen in afrikanischen Gesellschaften. Und das Ganze ist nicht in ökonomische Ausbeutungsverhältnisse eingebettet.
Aber können wir echt die ganze Zeit nur nörgeln und kritisieren? Wie laaaaaaaaaaaaaaaangweilig!!
Erstens: Nein, überhaupt nicht langweilig, und in dem Fall von Africa for Norway werfen wir auch einen kritischen Blick auf etwas, dem wir grundsätzlich wohlwollend gegenüber stehen: Es kommt unserer Meinung nach auf die Sprecher_inposition an und vor allem darauf, wer die Zuschauenden sind: Einen Film, Song, Gedicht etc. über das Stilelement der Umkehrung laufen zu lassen, mag – im Fall von Rassismus – für ein Schwarzes Publikum/Publikum auf Color bzw. Menschen im Globalen Süden empowernd sein. Für eine (Weiße) europäisches Zuschauer_innenschaft hingegen kann durch die Hintertür all das bestätigt werden, was an Rassismen und kolonialen Bildern bereits vorhanden ist. Schließlich entsteht die Belustigung gerade aus dem Moment dessen, was dieser Zuschauerschaft als absurd erscheint. Und zweitens: Nein, wir kennen nämlich auch satirische bzw. ironische bzw. parodistische Aktionen, die wir toll finden.
Hier sind nur einige Beispiele
- Die südafrikanische Satireseite Hayibo.com berichtet von einer Gruppe von Musikern aus Kapstadt, die 28 Jahre nach Bob Geldof und dem Band Aid-Lied „Do they know it’s Christmas“ mit dem Lied „Yes we do“ antworten. Sie hoffen, dass sich nach dieser Antwort nun wichtigeren Fragen zugewendet wird, wie z.B: “Do they know about climate change in America?“ Die Einnahmen aus dem Lied würden dafür verwendet, Disziplin, Lesen und Schreiben und Empfängnisverhütung an britischen Schulen zu lehren. Der Komponist und Sänger Boomtown Gundane erhoffte sich nun, „that his involvement with the song would turn him into an expert on British politics and economics in the same way ‘Do they know it’s Christmas’ had turned Geldof and Bono into the world’s leading experts on Africa”.
- Yes, we Kony“ von Juice Rap News kritisiert die Kampagne „Kony 2012“, hält den USA den Spiegel vor und kritisiert Rassismus und Neo-Kolonialismus
- Auch scheint der Spielfilm “Africa Paradis” (2012) (den wir selbst noch nicht gesehen haben) der Einschätzung von Mériam Azizi nach ordentlich mit Umkehrung zu spielen: „Ironie anwenden, ein nicht unterdrückbares Lachen hervorrufen, um das Ausmaß der Tragödie besser zu fühlen – das ist es, was der Film mit Hilfe dieser Umkehrung der Verhältnisse erreichen möchte […] Die Parodie erlaubt einerseits die implizite Stigmatisierung einer bedrohlichen Situation und andererseits […] einen therapeutischen, heilenden Prozess.“
- In ihrem Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ schreibt Noah Sow in der Einleitung über „Meine eigene Herkunft“. Sie verwendet dabei eine Sprache, die sonst Berichten über den globalen Süden vorbehalten wird („Stämme“, „ethnische Untergruppen“, „Eingeboren“), auch wenn sie von Deutschland schreibt, und lässt die Leser_innen so deren rassistische Sozialisation gewahr werden.
- Gut gelungen ist die Parodie auch in Binyavanga Wainainas Text „Schreiben sie so über Afrika! Eine Anleitung“
- Und das das hier spricht für sich selbst: