Antiromaismus. Rassismus, Exotismus und deutsche Geschichte in der Gegenwart

Seit einigen Tagen gibt es auf der Berliner reflect-Mailing-Liste eine Debatte zu Antiromaismus und Rassismus insgesamt. Eine von Antiromaismus negativ betroffene Person hatte die Mail einer Weißen Person kritisiert, deren Benutzernamen „gypsy“ beinhaltete und die davon handelte, sich „nach dem vielen rumzigeunern“ in Berlin niederlassen zu wollen. Auf Rückfrage schrieb sie, dass sie das Recht hätte, damit positiv ihr Lebensgefühl zu beschreiben. Der Person, die das als rassistisch problematisierte, wurde mit massiven Angriffen begegnet (im Sinne von „entspann dich mal“, „Weiße werden auch diskriminiert“, „wissenschaftlich betrachtet stellt sich das ganz anders dar“, „wenn du so reagierst, kann man dich ja nicht ernst nehmen“ etc., d.h. klassische, in fast jedem Buch zu Rassismus nachschlagbare Abwehrreaktionen). Den Austausch in Form von mehr als 100 E-Mails können wir hier nicht nacherzählen, aber wir bloggen hier in leicht veränderter Form die E-Mail eines Mitglieds von glokal, die auf einige Mails Bezug nimmt. Damit ist, so hoffen wir, auch ohne genaues Wissen um die vorangegangenen Mails etwas anzufangen.

Hallo,

ich weiß nicht, ob es Leuten hier klar ist, dass Roma und Sinti auch heute noch verfolgt und ermordet werden; dass die systematische Vernichtung in KZ im Nationalsozialismus unter den Teppich gekehrt und in Deutschland keine Verantwortung übernommen wird – an Stelle dessen werden eben mal kurzerhand sämtliche Länder, in denen Roma und Sinti verfolgt und diskriminiert werden, zu „sicheren Herkunftsländern“ gemacht und Leute massenhaft abgeschoben. Und dieses rassistische Leugnen und Verdrängen ist eben nicht nur singulär auf der Ebene der Regierungspolitik zu finden, sondern drückt sich eben auch in den Diskursen des gesellschaftlichen Mainstreams aus. Und entsprechend auch auf der Reflect-Liste.

Verfolgt, abgeschoben, ausgegrenzt und ermordet zu werden, hat rein gar nix mit dem hier so, gelinde formuliert, verklärten Schilderungen eines Durch-die-Welt-Fahrens, international sein oder gar Durch-die-Welt-Tanzen! zu tun. Im Gegenteil! Während die einen sich darüber Gedanken machen, wie denn ihr Look oder ihr Partygelände noch ein wenig „gypsisiert“ werden könnte, oder zu ihrer vermeintlichen Identifikationsfigur (eine Identität, die auf rassialisierten Zuschreibungen beruht, die es u.a. auch im Nationalsozialismus gab) zu tanzen, werden die Objekte ihrer Fantasie abgeschoben, gedemütigt oder eben einfach zu lebensfrohen Objekten gemacht.

Ich kann nicht einfach sagen, ich bin Jüdin, weil das heute so gut zu meinem Lebensgefühl passt und ich so XYZ drauf bin. Ich kann nicht einfach sagen, heute bin ich mal „Indianer“ weil ich mich so wahnsinnig naturverbunden und tapfer fühle und vor allem weil dieses Federgedönz, was ich im Onlinekatalog bestellt habe so gut zu meinem Festivaloutfit passt. Bzw. doch, kann ich sagen, wenn ich diejenigen bin, die eben nicht genozidal verfolgt wurden und werden, weil man sie zu einer Rasse gemacht hat, zu deren Eigenschaften vermeintlich Positives (z.B. sind die so gerissen und wissen, wie man Geld macht und Stolz und können Fährten lesen >> Und was ist daran bitte keine „Fremdverurteilung“ und „Vorurteile“?!) und auch Negatives gehört. Auch diese vermeintlich positiven Zuschreibungen (die Menschen zu einer Gruppe zusammenfassen, ihnen Eigenschaften verpassen, die sie quasi qua Geburt haben; Zuschreibungen die quasi an der Kleidung, am Aussehen, an der Sprache oder Herkunft oder sogar Herkunft der Groß-/Eltern festgemacht werden) sind Teil dessen, warum Menschen vernichtet wurden. Andere Menschen können nicht sagen, dass sie heute mal Weiß sind, weil sie keine Lust haben, Objekt zu sein: Heute bin ich einfach mal ein Weißer Typ, weil ich Bock drauf hab und das irgendwie mehr zu meiner Lebenszielen passt, und weil ich kein Bock habe mir Gedanken über Rassismus und Abschiebung zu machen. Ach, heute hab ich keinen Bock diejenige zu sein, die angeblich klaut oder mit dem Wagen umherzieht und für die anderen eine wilde (Revolutionärs-)Fantasie ist.

Menschen sind eben kein Kostüm! Ich sollte es lassen, Menschen zu konsumieren, sie mir in Häppchen einzuverleiben. Daran ist nichts empowernd und widerständig. Wie kann ich außerdem einer Person, die antiromaistisch diskriminiert wird, sagen, dass sie es einfach noch nicht geschnallt hat, dass wenn ich so tue, als wäre ich sie und mir so Armreifen rummache (auf die sie natürlich stehen würde) und so tue, als würde ich durch die Gegend fahren, es alles nur zu ihrem Besten ist; weil sie doch dadurch zu etwas Positivem, zu meiner! Heldin gemacht wird, zu einer Heldin, wie ich sie mir zurechtbastel. Und diese Heldin ist sie auch nur so lange, wie sie nicht aufmuckt, nur so lange, wie sie mir nicht sagt, dass ich sie nicht zum Objekt machen soll, dass das ihre Würde verletzt. Ich kann mir doch nicht heute das Piratenkostüm anziehen und morgen „Gypsy“ sein und bestimmen, dass diese Leute folgende positive Eigenschaften haben, die ich toll finde. Woher kommen denn diese Fantasien über ‚die Anderen‘? In welchen Fahrwassern schwimme ich, wenn ich all das, was hier Roma und Sinti auf dieser Liste zugeschrieben wurde, als mein Recht auf Meinungsäußerung deklariere? Und wer darf am Ende entscheiden über diese zwangskollektivierenden Eigenschaften (,dass ‚die Anderen‘ so sind wie sie sind,) obwohl die Menschen die damit objektiviert werden, diese problematisieren?

Den einen wird erklärt, dass das, was sie machen diskriminierend, verletzend und rassistisch ist: Was folgen dafür für negative (sich materialisierende) Konsequenzen für die Person, die darauf hingewiesen wurde, dass das verletzend und problematisch ist? Keine! Für diejenigen, die Rassismus negativ erfahren müssen, werden – und zwar auch dadurch, dass man sie in die Schranken weist und ihnen erklärt, wer sie sind und wo sie herkommen und dass sie bitte nicht so überreagieren dürfen, weil doch die anderen bestimmen dürfen, was angemessen ist und was nicht und dass, wenn sie es nur in Schönschrift verfasst hätten, andere Leute ja ggf. sich auch darauf einlassen könnten, nicht mehr rassistisch zu sein, … aber nun: selbst dran schuld! an deiner Diskriminierung – für die hat das Konsequenzen, weil Rassismus immer negative, materielle, soziale und identitäre Konsequenzen für die davon negativ Betroffenen hat. Nicht zuletzt besteht die Konsequenz auf dieser Liste auch darin, dass Personen fertig gemacht und ihnen sogar Rechte abgesprochen werden.

Auch die Forderung nach „Wissenschaftlichkeit“ ist nicht nur in diesem Kontext eine Farce und Reproduktion antiromaistischer Ausgrenzung. Zum einen werden Roma- und Sintifamilien ihre Kinder weggenommen, weil sie nicht der Schulpflicht nachkommen und sie gelten deswegen als schlechte Eltern. Eben das kann, wie die Aktivist*in Melanie Spitta in ihren Filmen auch beschrieben hat, ein Widerstandsmoment gegen diese Weise der repressiven Formung des Menschen zum autoritäruntergebenen Subjekt sein. Zum anderen bedeutet das, dass wenn Deklassierte sprechen, ihre Realitäten und Analysen keinen Wert haben. Nicht zuletzt stellt es ein gewisses belustigendes Paradoxon dar, wenn jene, die von antibürgerlichen Lebensformen reden, gleichzeitig den erfüllten (Wahrheits-)Anspruch von Wissenschaftlichkeit feiern: einem Herrschaftsinstrument der (eurozentrischen) Bürgerlichkeit. Die Wissenschaft hat jenes ‚Wissen‘ und somit die Legitimation über die Einteilung der Menschen in über- und unterlegene Rassen mithervorgebracht und die ‚Beweise‘ geliefert. Ethnolog/innen, Mediziner/innen, Biolog/innen, Geograph/innen etc., sie alle waren daran beteiligt, das Wissen zur Vernichtung von Roma und Sinti, Jüd*innen, so genannten A-soziale, Homosexuellen und weiteren Menschen zur Verfügung zu stellen – rein wissenschaftlich und ganz objektiv natürlich. Und dieses Wissen ist zum Konsens der (deutschen) Mehrheitsgesellschaft geworden. Ein Ver-lernen dieses Dominanzwissens wäre also angebracht und schließt, ‚die Anderen‘ nicht zum Objekt zu machen, ein.

Um endlich zum Schluss zu kommen, hier eine Abkürzung: Dieser Satz „Ich bin z.B. ‚leider‘ nicht blond und blauäugig, ich habe Probleme, mich ins bürgerliche Erwerbsleben zu integrieren, und offen gestanden auch keine Lust dazu, … Das hatte zur Folge, dass ich schon einige Male direkt von ‚zigeunerfeindlicher‘ Diskriminierung betroffen war, obwohl ich eine ‚weiße Hautfarbe‘ und keine ‚ethnische Verbindung‘ zu Roma oder Sinti habe.“ ist, neben so vielem was hier steht, einfach eine Frechheit.

Chandra