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Antwort des Autors der Broschüre: Wo bitte geht’s nach weltwärts? auf unseren offenen Brief an das ASA Programm und das Welthaus Bielefeld

Welthaus Bielefeld – Bereich Bildung

Georg Krämer (Georg.Kraemer@welthaus.de) 13-5- 2012

Broschüre Welthaus Bielefeld: Wo bitte geht’s nach weltwärts?

Ihr Brief vom 3. Mai 2012

Antwort an „glokal e.V.“

Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Urteil ist so schön eindeutig: Unsere Broschüre ist „sehr problematisch und rassistisch“ oder verwendet „durchgängig rassistische Stereotype“, „Menschen des Globalen Südens werden durchweg z.B. als korrupt, primitiv, unterentwickelt, unwissend…“, dargestellt, während „sich deutsche Weltwärts-Freiwillige in einer Überlegenheitsposition befinden, der gemäß sie handeln sollen“.

Die erste Reaktion für mich als Autor war verständlicherweise, nach Belegen für diese Äußerungen zu suchen. Ohne für mich in Anspruch nehmen zu wollen, frei von Stereotypen zu sein, hätte ich doch angenommen, ein anderes als das hier so kolportierte Weltbild zu haben. Hinzu kommt: Die Broschüre „Wo bitte geht’s nach weltwärts?“ hat eine ganz andere Zielsetzung als den jungen Freiwilligen zu erzählen, wie sie die Welt zu sehen haben, sondern will Selbstreflexion vor der Ausreise anregen und unterstützen. Sie fragt die Freiwilligen nach den Erwartungen und Befürchtungen, konfrontiert sie aber auch mit kritischen Einwänden (z.B. M3 „Bleibt zu Hause“, M6 „Weltwärts – ein Beitrag zur Entwicklung?“ oder auch M9 „Egotrip ins Elend“).

Daraus eine den Freiwilligen zugeschriebene Überlegenheitsposition herauszulesen, kann nur gelingen, wenn der Schaum vor dem Mund die Sicht versperrt und man den Ansatz der Broschüre, offene Fragen zu stellen, nicht ertragen kann. Und Worte aus einer Phantasiereise, die ja gerade die Zielsetzung hat, Voreinstellungen und Stereotypen zur Sprache und damit diskutierbar zu machen, herauszustellen, um dann zu behaupten, diese Äußerungen würden die gesamte Broschüre durchziehen, ist schlicht wahrheitswidrig.

„Korrupt, primitiv, unwissend, auf finanzielle und geistige Hilfe angewiesen“ oder auch auf der anderen Seite „zivilisiert, emanzipatorisch und moralisch integer“ – alle diese Vokabeln stehen nicht in der Broschüre, sonders es sind Ihre Deutungen und Bewertungen, die jedoch viel aussagen über Ihr Weltbild und seine Kategorien. Ihre Deutungsmuster sind ohnehin falsifikationssicher.
Wenn in der Broschüre doch ein Beitrag steht, der das Weltwärts-Programm infrage stellt (z.B. M3 „Bleibt zu Hause“), kann dies nur ein übler Trick sein, der dem Ziel dient, ein „Argumentationstraining“ gegen potentielle Kritiker einzuüben.
Wenn interkulturelle Konflikte (M 21) angesprochen werden, wie sie immer wieder bei Fachkräften in der Entwicklungszusammenarbeit auftreten, kann dahinter nur ein „starrer und homogenisierender“ Kulturbegriff stehen, obwohl es doch gerade um den Umgang mit heterogenen Vorstellungen geht.
Wenn Freiwillige gefragt werden (M20), wie sie sich in bestimmten Situationen entscheiden würden (alle dargestellten Konfliktsituationen haben Freiwillige selbst erlebt), unterstellen Sie bestimmte, implizit vorgegebene sozial erwünschte Antworten, auf die Sie dann einschlagen können, obwohl Freiwillige sich hier in der Regel sehr kontrovers positionieren.

Ihr Problem sind nicht die Broschüre oder einzelne, mehr oder weniger gelungene Seiten. Ihnen passt der ganze Ansatz nicht. Sie vermissen die Auseinandersetzung mit „Verwertungslogik und Rassismus“, so wie sie das verstehen. Entwicklungspolitische Bildungsarbeit hat für Sie (vgl. blätter des iz3w 329) die Aufgabe, die „machtvollen und kolonial-rassistischen Strukturen“ zu entlarven. Da ist für offene Fragen, für widersprüchliche Motivlagen auf der Subjektseite der Freiwilligen ebenso wenig Raum wie für eine Sachanalyse, die für eine Beschreibung der Welt differenziertere Kategorien bracht als Rassismus oder Kolonialismus. Meiner Beobachtung nach hat diese auf Entlarvung abzielende „antikolonialistische und antirassistische Bildungsarbeit“ zwei fatale Folgen: Sie führt zunächst zu einem Klima der Angst, schüchtert gerade solche Menschen ein, die sich für ein besseres Miteinander einsetzen wollen. Weil niemand rassistisch sein will und gleichzeitig Rassismus eine Unterstellung ist, die durch Leugnen ebenso bestätigt wird wie durch rassistische Unworte, gilt es, alles zu vermeiden, was uns dem Verdacht aussetzen könnte. Offene Fragen, berechtigte oder unberechtigte Empörungen, das Anstoß-Nehmen an Fremdheit – das alles bleibt häufig unausgesprochen und damit jedem Diskurs unzugänglich. Wo die Keule des Antirassismus droht, ernten wir in der Regel political correctness, nicht aber eine ehrliche Auseinandersetzung mit eigenen Vorurteilen, denn diese setzt den Verzicht auf Einschüchterung und Überwältigung voraus.

Fatal ist bei der „antikolonialistischen und antirassistischen Bildungsarbeit“ aber auch das dichotome Weltbild, für das es nur Opfer und Täter, nur gut und böse gibt. Hier der „globale Süden“, geprägt von Kolonialismus und Ausbeutung, dort der „globale Süden“, seine Privilegien genießend. Wer die Wurzel allen Übels kennt, braucht keine Differenzierungen. Ausbeutung und schwerste Menschenrechtsverletzungen kommen demnach nur im Nord-Süd-Verhältnis vor oder sind das Ergebnis neokolonialer Verhältnisse. Doch wer 50 Jahre nach der Unabhängigkeit der letzten Kolonien den Regierungen in Afrika, Asien oder Lateinamerika Eigenverantwortung abspricht, muss sich befragen lassen, ob sein Menschenbild nicht selbst rassistisch ist. Sie haben nicht nur eindeutige Analysen, sondern auch eindeutige Praxisfolgerungen: Alle Bezieher unserer Broschüre – natürlich auch rückwirkend – sollen per Brief einen – am besten von Ihnen zu formulierenden – antirassistischen Warnhinweis erhalten. Und: Der Vertrieb der Broschüre ist „ab sofort einzustellen“. Soviel Wahrheitsgewissheit ist heute selten. Gut, dass Sie keine Macht haben, Publikationen auf den Index zu stellen. Nun könnte man diesen „Antikolonialismus“ und „Antirassismus“, der die weiße „Kultur“ grundsätzlich nur mit Anführungszeichen schreibt, als ideologische dünne Suppe von ein paar Gruppen ignorieren, die mit dem Knüppel des Rassismus und Kolonialismus wahrscheinlich eher ihre antikapitalistischen Systemüberwindungsphantasien befördern wollen. Doch ein Schuldgefühl gegenüber den Menschen in den „Entwicklungsländern“ ist auch in großen Teilen der entwicklungspolitische Engagierten und auch der Weltwärts-Freiwilligen vorhanden.

Die Scham über die Verbrechen des Kolonialismus und der Sklaverei, aber auch über die Ungleichheit der Welt heute und unsere privilegierten Lebenschancen, ist weit verbreitet. Sie ist ein Hinweis auf eine wertvolle Empfindsamkeit, die nicht nur die eigene Person in den Blick nimmt. Doch es ist nicht zu akzeptieren, dass diese Haltung für eigene ideologische Überwältigungen instrumentalisiert wird. Vielleicht käme es darauf an, von der Scham und dem Schuldgefühl zu einer Haltung der Verantwortung zu kommen. Eine solche Verantwortung würde sich an bestimmten ethischen Werten (z.B. Menschenrechte) orientieren und danach fragen, was im Sinne einer globalen Verantwortung heute unsere Aufgabe ist.
Dazu gehörte die Wahrnehmung von unfairen Nord-Süd-Verhältnissen, ohne allerdings alle internationalen Beziehungen als Ausbeutung zu denunzieren und den ökonomischen und politischen Gestaltungsraum der „Entwicklungsländer“ zu leugnen.
Dazu gehört die Wahrnehmung eigener Vorurteile und Stereotype, ohne allerdings unterschiedliche kulturelle Vorstellungen zu ignorieren und ohne jede Attitüde des Selbsthasses. Dazu gehört schließlich unser Recht und die Pflicht auf Einmischung in die inneren Angelegenheiten fremder Völker, wenn dort Menschenrechte massiv verletzt werden, selbst wenn diese Länder früher Kolonien waren.

Die Welt als einen Hort des Rassismus und Kolonialismus anzusehen, zeugt nicht nur von einem Mangel differenzierter Wahrnehmung. Eine solche Weltsicht hat auch zur Folge, dass es Menschen unmöglich gemacht wird, sich zu engagieren. Die Verliebtheit in das Kaputte, die immer wieder vorgetragene Konstatierung des Schlechten, aus der nur die eigenen Erlösungsphantasien herausführen, zerstört jede Hoffnung. Hinter der Idee des Weltwärts-Programms aber steht eine Hoffnung, nämlich dass Begegnung, dass Lernen möglich sind. Viele Weltwärts-Freiwilligen dürften fragwürdige Vorstellungen mitbringen, ihre eigenen Möglichkeiten überschätzen, nicht wissen, wie sie den Menschen im Zielland begegnen sollen. Und doch gelingen immer wieder solche Begegnungen, kommen Freiwillige zurück mit einem neuen Blick auf die Welt und die Menschen.
Sie sind keine Rassisten oder Kolonialisten, sondern junge Menschen, die lern- und veränderungsfähig sind, wie auch unsere Welt mit dem Kolonialismus nicht ihre Entwicklung abgeschlossen hat.

Eine Bildungsarbeit, die dieses Veränderungspotential abstreitet und stattdessen lieber mit dem Verdikt des Rassismus einherkommt, ist kontraproduktiv.

Georg Krämer