Kinderbuchdebatte

In Deutschland tobt seit ein paar Wochen eine heftige Kinderbuchdebatte: Indem diskutiert wird, was wir unseren Kindern vorlesen wollen, steht zur Diskussion, welches Bild von Welt und von sich selbst vermittelt werden soll. Leitmedien wie die ZEIT demonstrieren wirkmächtig und mit rassistischer Bildsprache unterlegt: Die weiße Mehrheitsgesellschaft soll weiterhin die Definitionsmacht darüber besitzen, welche Geschichten erzählt werden und mit welchen Worten sie erzählt werden sollen.
Die Debatte um die Verwendung des N-Wortes ist eine sehr zentrale, nicht zuletzt weil dadurch das aktuelle Rassismusverständnis des Mainstreams deutlich wird und zumindest ansatzweise zur Disposition steht. Leider passiert dies in den meisten Fällen durch die Reproduktionen und damit durch die Stabilisierung von Rassismus.

Seit Jahrzehnten setzen sich v.a. Schwarze Menschen dafür ein, dass das N-Wort nicht mehr verwendet werden soll und auch an rassismuskritischen Nachschlagewerken sowie überzeugenden Argumentationshilfen speziell für Journalist_innen mangelt es nicht. Auslöser der aktuellen Debatte war Mekonnen Mesghena, der in einem Brief Ottfried Preußler und den Thienemann Verlag überzeugte das N-Wort zu ersetzen. In der Öffentlichkeit wird es aber häufig so dargestellt, als ob die Debatte nicht durch rassismuskritische Aktivist_innen oder Wissenschaftler_innen angestoßen worden sei, sondern durch ein Interview mit Ministerin Kristina Schröder in der ZEIT. Darin erklärte sie, dass sie ihren Kindern beim Vorlesen von Pippi Langstrumpf diskriminierende Begriffe wie “N-König” durch “Südseekönig” ersetzt. Dies verdeutlicht, wie gesellschaftliche Machtverhältnisse unterschiedliche Sprecher_innen-Positionen hervorbringen, die sehr ungleich gehört, zitiert und rezipiert werden. Während Axel Hacke im Themenschwerpunkt der ZEIT sehr prominent die Möglichkeit bekommt, sich als Opfer von antirassistischen Kritiker_innen zu inszenieren, fehlt eine Gegenposition, die wie in der Petition gegen Titel und Titelbild seiner Bücher sachlich vorgetragen wird. Scharfsinnige Beiträge zur Debatte finden sich hingegen in einem offenen Brief der Initiative Schwarzer Deutscher, dem “wahrscheinlich besten Leserbrief, der jemals in Deutschland geschrieben wurde” der 9-jährigen Ishema, sowie dem Artikel von Simone Dede Ayivi im Tagesspiegel. Der Spiegel schwenkt nach ersten Reproduktionen dann doch inhaltlich noch um, verpasst es aber die Bezeichnung “N-Wort” zu etablieren und reproduziert stattdessen wie die meisten anderen Medien kräftig weiter. Eine der erschreckensten Beiträge zur Debatte kam aus der ARD, in der nicht nur inhaltlich, sondern auch durch die Wahl von Blackface Rassismus massiv reproduziert wurde. Das dies ganz bewusst geschah, geht aus der Stellungnahme der ARD hervor: Ohne nur einen Hinweis darauf, dass 2012 landauf landab eine intensive Blackface Debatte geführt wurde.

In unserer pädagogischen Arbeit, analysieren wir häufig zusammen mit den Teilnehmenden anhand von Kinderbüchern, wie Rassismus als gesellschaftliches Machtverhältnis die Sozialisation und Wissensbildung von Kindern prägt. Dabei ist es uns immer auch ein Anliegen jenseits von Begrifflichkeiten offenzulegen, wie die Bücher Konstruktionen von “Eigenem” und “Anderem” prägen und welche Sicht auf die Welt nahe gelegt wird. Leider bleibt die aktuelle Kinderbuchdebatte meist auf der Ebene der Begrifflichkeiten stehen. Es steht außer Frage, dass es wichtig ist, das N-Wort aus den Büchern zu streichen. Aber ein Buch wird nicht alleine dadurch antirassistisch, dass diskriminierende und verletzende Begriffe ausgetauscht werden. So ist Pippis Vater zwar nun zum “Südseekönig” umbenannt worden, aber die koloniale Geschichte die dahinterliegt bleibt nach wie vor unbenannt, irgendwie auch mit einer gewissen Selbstverständlichkeit. So geht beispielsweise der Reichtum von Pippi in Form von Goldstücken auf die Kolonialherrschaft ihres Vaters zurück. Maisha Maureen Eggers belegt ferner mit Zitaten, wie sich rassifizierte Vorstellungen wie ein roter Faden durch die Pippi Bücher ziehen. Damit wird trotz dem Ersetzen einzelner gewaltvoller Begriffe Weiße Überlegenheit nicht in Frage gestellt, sondern aufrechterhalten.

In unseren Seminaren stellen wir oft fest, dass es Weißen Teilnehmenden leichter fällt, Werbeplakate oder Medienbeiträge rassismuskritisch zu analysieren, die Analyse von Kinderbüchern und -filmen hingegen oft mit starken eigenen Widerständen verbunden ist. Kinderbücher rufen bei vielen Erwachsenen schöne Gefühle und Erinnerungen hervor, die nicht gerne angetastet werden. Wenn Kinderbücher oder Kinderfilme zur Disposition stehen, scheint es schnell ans Eingemachte zu gehen, denn Kinderbücher schaffen Identitäten. So liest sich der Versuch der Weißen Mehrheitsgesellschaft die Bücher in ihrem Original zu erhalten, inklusive aller rassistischen und diskriminierenden Passagen, als eine große Verlustangst. Die Angst ein sich selbst geschaffenes positives Selbstbild zu verlieren ebenso wie die Angst, die jahrhundertelange Definitionsmacht sich “Selbst” und “Andere” definieren zu können in Frage stellen zu müssen.

Es gibt viele wunderbare Bücher und Filme, die ohne Diskriminierungen auskommen, alle Kinder als potentielle Leser_innen mitdenken und empowern. Dabei ist Rassismus nur eines von vielen gesellschaftlichen Machtverhältnissen, das dabei berücksichtigt werden muss. Zur Inspiration haben GLADT und Kinderwelten beispielsweise für den deutschsprachigen Raum eine Positivliste zusammengestellt, der braune mob hingegen sammelt in einer Liste, die gerne ergänzt werden darf, Bücher mit diskriminierenden Inhalten und Ausdrücken. Anstatt rassistische Kinderbücher weiter zu verbreiten und vorzulesen, wäre es vielmehr an der Zeit Eltern, Erzieher_innen und Lehrer_innen in macht- und rassismuskritischer Analyse von Kinderbüchern (und anderen Medien) zu schulen um für die nächsten Generationen andere Identitäten zu ermöglichen.