Nicht alles, was Gold ist, glänzt! – Rusty und Golden Radiator Awards hinterlassen einen bitteren Nachgeschmack

Heute, am 10. Dezember verkündet SAIH – The Norwegian Students and Academics International Assistance Fund die Gewinner zweier internationaler Preise ausgeschrieben: den Rusty Radiator Award für das am meisten Schaden anrichtende Spendenvideo sowie den Golden Radiator Award für das kreativste Spendenvideo. Viel mediale Aufmerksamkeit und mehr als zwei Millionen Klicks auf das vor einem Jahr erschienenen Satire-Video „Radi-Aid: Africa for Norway“ haben SAIH darin bestärkt, neue Aktionen zu machen. Begleitet wurden die Awards durch einen neuen Video-Clip „Let’s save Africa! – gone wrong“, in dem uns der junge Schwarze Michael gängige Muster in der Spendenwerbung aufzeigt. Er macht die westlichen Erwartungen zu seinem Beruf: „Jedes Mal, wenn diese Filmemacher zu uns nach Afrika kommen, bin ich der Erste, den sie anrufen. Ich bin unglaublich begabt. Wartet – das ist das traurige Afrika.“

Der Kurzfilm problematisiert gelungen auf satirische Weise, wie Charity-Werbeclips gedreht werden. Aus Berichten von Filmemacher_innen, die an solchen Drehs beteiligt waren wissen wir, wie Menschen regelrecht dazu trainiert werden, traurig zu schauen, Frauen ihren Schmuck für den Dreh ablegen oder Kinder ihre Schuluniformen gegen dreckige Lumpen eintauschen mussten – teilweise trotz Widerspruch und Unverständnis der Abgelichteten. Da macht es die Situation nicht besser, dass viele Hilfsorganisationen längst dazu übergegangen sind, ihre Spots und Plakate in Europa zu drehen und hier Schwarze Menschen und People of Color für ihre Zwecke zu casten.

Dank der Radiator Awards hat es die Diskussion um problematische Spendenwerbung in der Vorweihnachtszeit auch in deutsche Leitmedien geschafft. Zu „Let’s save Africa! – gone wrong“ hat beispielsweise die Süddeutsche Zeitung einen Artikel veröffentlicht. Die darin zitierte Rassismusforscherin Nadja Ofuatey-Alazard kommt im Deutschlandradio Kultur mit einem längeren Interview zu Wort und kommentiert den Clip wie folgt:

„Einerseits handelt es sich bei diesem Clip ja um eine europäische Selbstkritik, und das begrüße ich natürlich. Ich finde auch, dass Satire ein sehr probates Mittel ist, um aufzuzeigen, wie in diesem Fall bestimmte Konzepte von sich selbst, also dem weißen Europa, und von den vermeintlich anderen konstruiert werden. Also so ein bisschen die Künstlichkeit der Konstruktion und des Prozesses aufzeigen. Dieser Clip bricht also mit unseren gewohnten Sehverhalten und dreht sie fiktional um.“

Ähnlich der Kritik an „Radi-Aid: Africa for Norway“ von uns und anderen aus dem letzten Jahr hält sich allerdings auch Nadja Ofuatey-Alazards Enthusiasmus über die Aktion in Grenzen. Mit Adorno argumentiert sie, dass es „kein richtiges Leben im Falschen“ gibt. Denn wie schon Radi-Aid verbleiben auch die neuen Aktionen von SAIH im klassischen Entwicklungsdiskurs verhaftet. Es wird zwar die Darstellung von Menschen und Gesellschaften aus dem Globalen Süden hinterfragt, aber nicht die Tatsache, dass genau diese Menschen und Gesellschaften Entwicklungsbedarf haben, sich verändern müssen – und nicht etwa das Zusammenspiel des Reichtums einiger und der Armut vieler. Es wäre begrüßenswert gewesen, wenn SAIH sich auf den Rusty Radiator Award beschränkt hätte; dadurch, dass es aber einen Golden Radiator Award für positive Beispiele von Spendenwerbung klassischer Hilfsprojekte gibt, wird deutlich, dass es nicht um eine Kritik an „Entwicklungshilfe“ an sich geht, sondern lediglich um weniger stereotype Darstellungen.

Die vier nominierten Filme sind tatsächlich alle kreativ und brechen größtenteils (der Clip von Plan sticht dabei als problematische Ausnahme heraus) jedoch mit einigen gängigen Erzählmustern. Allerdings haben alle vier zentrale Punkte gemeinsam:

  1. Der Globale Süden wird als defizitär und „unterentwickelt“ dargestellt (keine Sanitäranlagen, kein sauberes Wasser, keine Gendergerechtigkeit, kein zugängliches Kreditsysteme), womit gleichzeitig der Globale Norden als erstrebenswerte Norm erscheint. Die rassistische Hierarchie, die SAIH auf der Ebene der Bildsprache kritisieren möchte, wird dadurch auf der inhaltlichen Ebene aufrechterhalten.

  2. Das wird dadurch sogar noch verstärkt, dass in allen Clips klar gemacht wird, dass die Lösungen für „Entwicklungsprobleme“ im Globalen Süden aus dem Globalen Norden kommen (z.B. Spenden für Projekte oder Mikrokredite, Patenschaften). Menschen im Globalen Süden werden zwar – im Gegensatz zu herkömmlicher Spendenwerbung – als Subjekte gezeigt, die (vermeintlich) für sich selbst sprechen. Menschen aus dem Globalen Norden werden hingegen als Menschen angesprochen, die nicht nur für sich selbst, sondern auch für Andere sprechen können.

  3. Die Clips fordern uns regelrecht dazu auf, dies zu tun und helfend einzugreifen. Kein einziger der Clips ruft zu politischen Handlungen auf, durch die Machtfragen klar benannt und Strukturen verändert werden sollen. Damit bleibt der Subtext der Videos derselbe, wie der der kritisierten Videos des Rusty Radiator Awards.

  4. Letztlich erscheint daher auch in allen Clips Entwicklungszusammenarbeit als quasi natürliche Antwort und als einzig sinnvoller Weg, die Welt zu verändern.

Auf den ersten Blick fällt das erste der für den Golden Radiator Award nominierten Clips von WaterAid aus der Reihe. Er kommt ohne die Darstellung von Schwarzen Menschen und People of Color aus. Dabei thematisiert es das Fehlen sanitärer Anlagen im Globalen Süden und dessen Folgen für u.a. die Sicherheit von Frauen. Die Jury kommentiert ihre Auswahl folgendermaßen:

„Wateraid turns to creativity rather than pity, which is a good way for bringing the message across. The video is very atmospheric and tense. […] Putting the story in a European setting, you feel that this regards you. Wateraid addresses the problem as a universal challenge in the terms that the needs for sanitation regards us all, along with that the need of safety.”

Dass eine weiße Mittelschichtsfrau nachts aus ihrem Vorstadtreihenhaus tritt, um sich auf die Suche nach einem stillen Örtchen zu machen, ist unglaubwürdig und soll auch gar nicht thematisieren, dass es auch bei uns Menschen ohne Zugang zu sanitären Anlagen gibt (beispielsweise wohnungslose Menschen) und somit „sanitation regards us all“ verdeutlichen; vielmehr soll der Clip Empathie für arme Menschen im Globalen Süden befördern, damit die Zuschauer_innen Geld für WaterAid spenden. WaterAid wiederum ist eine klassische „Hilfsorganisation“, deren Arbeit den oben beschriebenen Mustern folgt.

SAIH gauckelt uns mit ihren Aktionen vor, dass es einfach möglich ist, nicht-rassistische Spendenwerbung in einem von Rassismus tief durchdrungenen Arbeitsfeld wie dem der Entwicklungszusammenarbeit zu machen – man muss lediglich kreativ sein. Anja Bakken Riise, Vorstand von SAIH, bezieht klar Stellung: „We, as a development organization, are not opposed to development aid.“ Dementsprechend wird in den Materialien von SAIH auch durchgehend von Stereotypen und nicht von Rassismus gesprochen. Der Fokus auf Stereotypen verbleibt jedoch auf einer individuellen Ebene und nimmt die strukturelle Ebene nicht in den Blick. In ihrem Vortrag „The Danger of a Single Story“, der in der entwicklungspolitischen Bildungsszene häufig verwendet wird, um beispielsweise die einseitige Darstellung Afrikas in Deutschland zu kritisieren, sagt Chimamanda Adichie: „[T]he problem with stereotypes is not that they are untrue, but that they are incomplete. They make one story become the only story.“ Viele Menschen schließen aus Adichies Rede, dass wir ja alle von allem und allen Stereotypen haben. Das geht soweit, dass sie “The danger of a single story” auch anführen, um darauf zu verweisen, dass auch Schwarze Menschen gegenüber Weißen rassistisch sind. Denn es gebe ja auch Stereotype gegenüber Weißen. Dabei sagt Adichie zu einem späteren Zeitpunkt deutlich: “It is impossible to talk about the single story without talking about power”. Wenn auf Stereotype fokussiert wird, kann es leicht passieren, dass der Zusammenhang von Bildern und Vorurteilen mit strukturellen und (global)gesellschaftlichen Fragen von Macht und Ressourcen ausgeblendet wird. Wenn wie im Rusty/Golden Radiator Award Stereotype und nicht koloniale, rassistische Strukturen zum Problem gemacht werden, wird die elementare Verbindung zwischen Rassismus und dem Konzept von Entwicklung ent-nannt. Die Gewalt der Bildsprache wird zwar kritisiert, die dahinterliegenden gewaltvollen Strukturen hingegen bleiben unhinterfragte Normalität. SAIH gibt uns auf ihrer Seite Tipps, wie Fundraising besser gemacht werde könnte und nicht, wie Ungerechtigkeit auf der Welt angegangen werden könnte. Dafür verweisen sie auf eine Checkliste von Linda Raftree, eine der Juror_innen des Rusty/Golden Radiator Awards. Um globale Machtverhältnisse zu hinterfragen und anzugehen, finden wir allerdings die HEADSUP-Checkliste von Vanessa de Oliveira Andreotti bedeutend sinnvoller, weil sie historisch gewachsene Strukturen mitdenkt und unpolitische Handlungsempfehlungen problematisiert.

Aus unserer Erfahrung in der pädagogischen und beraterischen Arbeit mit entwicklungspolitischen Organisationen greift es in rassismuskritischen Veränderungsprozessen zu kurz, sich lediglich auf die Ebene der Bildsprache zu konzentrieren. In unseren Workshops stellen Mitarbeitende von NRO immer wieder fest, wie sehr die Art und Weise der Darstellung in Öffentlichkeitsmaterialien und Fundraising eingebettet ist in ihre eigenen Denkmuster und ihre (fast durchweg sehr privilegierte) Verortung in gesellschaftliche und globale Machtverhältnisse. Weitere Erkenntnisse sind, dass rassistische Darstellungen oftmals gar nicht so weit entfernt sind von den Leitbildern und Konzepten, mit denen die Organisationen arbeiten und dass in ihrer praktischen Projekt- und Partnerschaftsarbeit die vielgelobte „Partnerschaft auf Augenhöhe“ meist nur rhetorisches Mittel ist um die tatsächlichen Machtverhältnisse zu verschleiern. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass Veränderungen und die Reduzierung von Rassismus in den Arbeitsstrukturen durchaus möglich sind. Aber sie sind Resultat von langwährenden Prozessen, in denen sich die Organisationen ganzheitlich hinterfragen müssen und die nicht durch kleine Veränderungen auf der Bildebene zu erreichen sind. SAIHs Initiative, mehr kreative Spendenwerbung anzuspornen kann mit Sicherheit einen Beitrag dazu leisten, dass Rassismus in der Spendenwerbung problematisiert und reduziert wird. Die Gefahr dabei bleibt aber, dass kosmetische Reparaturen auf der Ebene von Bildern und Sprache dazu führen, die zugrundeliegenden Machtverhältnisse innerhalb der EZ unter den Teppich zu kehren und damit zu stabilisieren.

Aktuelle Werbekampagnen wie die der Welthungerhilfe zeigen, dass rassistische Spendenwerbungen auch in der deutschen Öffentlichkeit weiter massenhaft plakatiert werden. Ganz im Sinne ihrer letzten Kampagnen „Powered by YOU“ setzt die Welthungerhilfe ihre Plakatpolitik der letzten Jahre fort, in dem suggeriert wird, dass Menschen im Globalen Süden ohne unsere Hilfe nichts wären, nichts hätten, nichts tun könnten. Doch die unserer Meinung nach sehr berechtigte Kritik bleibt nicht aus. Auf der White Charity Seite (s.o.) ist ein Adbust verlinkt, der den Prozess des „Menschen-zum-Objekt-Machens“ mit dem Zitat „Unser Spenden-Objekt des Monats 2013“ pointiert verbalisiert. Uns erreichte zudem letzte Woche die Kopie einer öffentlichen Email von [edmc id=1217]Günther Reibstein[/edmc] an VENRO und das DZI, in der er sich über die aktuelle Plakatwerbung der Welthungerhilfe beschwert und fordert: „Mit dieser Email reiche ich daher formale Beschwerde ein und bitte Sie der Welthungerhilfe das DZI- Spendensiegel zu entziehen und innerhalb von VENRO ein Verfahren wegen Verstoßes gegen den VENRO Kodex einzuleiten.“

Wie erfolgreich diese Intervention sein wird, bleibt abzuwarten. Den offenen Brief von Schwarzen Organisationen in Deutschland, der vor eineinhalb Jahren an VENRO und das DZI geschrieben wurde, blieb bis heute ohne nennenswerte Konsequenzen. Allen drei Forderungen – 1. die Ausbuchstabierung der schwammig formulierten Leitlinien und Kodexe, 2. die Einbeziehungen von Schwarzen Perspektiven, Perspektiven of Color sowie Perspektiven aus dem Globalen Süden in die Weiterentwicklung der Leitlinien sowie 3. die Errichtung einer unabhängigen Schiedsstelle für Beschwerden gegen rassistische entwicklungspolitischen Plakatwerbung – ist nicht ansatzweise nachgekommen worden. Stattdessen haben VENRO und das DZI in der Zwischenzeit die Publikation „Ethik in Spendenmailings“ herausgegebenen: mit kosmetischen, viel zu kurz greifenden und teilweise zu Diskriminierung auffordernden Handlungsempfehlungen: kurz, ohne die Perspektiven aus dem offenen Brief ernst zu nehmen.

Die Frage, die der Brief aufwirft – wer in einer möglichen Schiedsstelle zur Beurteilung, ob Spendenwerbung diskriminierend ist, vertreten sein sollte – schließt wieder den Kreis zu den ausgelobten Awards von SAIH. Jenseits der Frage, ob es sinnvoll ist, einen Best-Practice Preis in diesem Kontext zu verleihen, stellt sich die Frage, ob SAIH dafür überhaupt die richtige Adresse ist. Als bekennende entwicklungspolitische NGO sind sie voreingenommen und der Blick über den Tellerrand der Entwicklungszusammenarbeit ist aufgrund ihres institutionellen Eigeninteresses kaum zu erwarten. Ein möglicher Clip des Bündnisses Colonialism Reparation, würde es in die Auswahl der Jury wohl nie schaffen.